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„Da kommen die Mordkisten“ - Besuch am Denkmal der Grauen Busse und in der Gedenkstätte Hadamar


28 Menschen mit und ohne Behinderung tauchten auf der diesjährigen Gedenkfahrt „Mensch, achte den Menschen“ des Dekanats Nassauer Land und der Stiftung Scheuern tief in die Geschichte der Gräueltaten unter den Nationalsozialisten ein. Sie setzten sich auf ihrer Fahrt zur Gedenkstätte Hadamar mit der Ermordung von tausenden behinderter Menschen während der Hitlerzeit auseinander. Besonderer Schwerpunkt waren die grauen Busse, mit denen die Menschen damals ihren letzten Weg antraten, bevor sie in Hadamar in die Gaskammer geschickt wurden. Ein lebensgroßes Wanderdenkmal der grauen Busse steht aktuell in Hadamar auf dem Schlossplatz unweit der Gedenkstätte.

Unter den Teilnehmern der Gedenkfahrt war Lore Arnold. Die 82-Jährige lebt seit Kindertagen in der Stiftung Scheuern. Sie kennt die grauen Busse noch aus eigenem Erleben als Kind von fünf Jahren: „Die kamen auf den Hof gerollt und haben die anderen mitgenommen. Wir Kleinen wurden immer weggeführt und  versteckt, wenn die Busse kamen.“ Sie wusste auch, was damals alle wussten, aber niemand aussprach: Die Menschen im Bus werden nicht wieder zurückkommen. Nicht umsonst kommentierten die Hadamarer Bürger die anfahrenden Busse mit dem Satz: „Da kommen die Mordkisten.“ Faktisch ist das nicht richtig, denn die Busse selbst waren keine Mordinstrumente, nur Transportmittel. Aber am Ende der Reise stand für 10.000 Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung der gewaltsame Tod in der Gaskammer im Keller der damaligen Landesheilanstalt Hadamar. Sie wurden im Jahr 1941 im Rahmen der sogenannten „Aktion T 4“ ermordet.

Mit mutigen Predigten setzte sich Bischof von Galen für ein Ende des mörderischen Treibens ein. Noch im gleichen Jahr endete die Aktion T 4. Allerdings folgte dem systematischen, staatlich gesteuerten Morden eine zweite Phase, in der Ärzte und Pfleger mit Gift mordeten, in der festen Überzeugung, diesen aus ihrer ideologisch verzerrten Sicht „minderwertigen“ Menschen einen Gefallen zu tun. In den Jahren 1942 bis 1945 fielen weitere 5.000 Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung Giftspritzen zum Opfer.

Dazu hat die Gedenkstätte Hadamar anhand von alten Plakaten die ideologische Vorbereitung dieses falschen Menschenbilds von besseren und schlechteren Menschen anschaulich dargestellt, akribisch Schicksale, Namen, Krankheitsgeschichten und Fotos der Opfer zusammengetragen. Die baulichen Spuren des tausendfachen Mords lassen die Gräuel eindrücklich sichtbar werden.

Die Teilnehmer der Gedenkfahrt unter Leitung von Pfarrer Matthias Metzmacher, der im Dekanat Nassauer Land für den Bereich „Gesellschaftliche Verantwortung“ verantwortlich ist, und Pfarrer Gerd Biesgen, Vorstand der Stiftung Scheuern, konnten sich auf diese Weise den letzten Weg der rund 1500 Menschen, für die die Stiftung Scheuern die letzte Station vor dem Tod war, vor Augen führen. Dr. Esther Abel von der Gedenkstätte Hadamar erklärte in einfacher Sprache und sehr verständlich, wie die NS-Ideologie den Massenmord so vorbereitete, dass sogar Ärzte ihr mörderisches Tun ohne Weiteres mit dem abgelegten hypokratischen Eid in Einklang bringen konnten. Auch verdeutlichte sie, wie ausgeklügelt das Verschickungssystem war. Die Opfer stammten aus dem ganzen damaligen Reichsgebiet und wurden dem Zugriff etwaiger besorgter Angehöriger dadurch entzogen, dass die Menschen immer wieder von einer in die nächste Einrichtung verlegt wurden. Diese Einrichtungen nannte man Zwischenanstalten, eine war in Scheuern.

Frank Thorm nahm zum ersten Mal an der Gedenkfahrt teil. Aufmerksam betrachtete er sich die Bilder von Opfern und las von deren Schicksal. Danach herrschte Fassungslosigkeit: „Das geht an die Substanz.“ Damit spricht er aus, wie es allen Teilnehmern geht. Geschockt, aber nach dem Besuch der Gedenkstätte dafür umso sicherer wissen sie nun, wie wichtig die Aufforderung „Mensch, achte den Menschen“ ist und wie sehr alle Anstrengungen unternommen werden müssen, damit derartige Verbrechen nie wieder passieren.