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Aktuelles

Die Würde des Menschen ist unantastbar: Konfirmandenbesuch in der Stiftung Scheuern


Die Konfirmanden der Kirchengemeinden Nassau und Schweighausen haben die Stiftung Scheuern besucht. Um Erinnerung an eines der düstersten Kapitel unserer deutschen Geschichte sollte es gehen – ebenso um den Appell, sich selbst für demokratische Grundrechte einzusetzen und für die Würde jedes einzelnen Menschen einzutreten.

Pfarrerin Silke Funk schildert in ihrem Gastbeitrag die Beweggründe für das herausfordernde und gleichzeitig hochaktuelle Thema und die Eindrücke des Nachmittags:

„Der 1. Artikel des Grundgesetzes – er bildete unseren gedanklichen Ausgangspunkt für eine gemeinsame Veranstaltung der Konfirmandengruppen der Evangelischen Emmausgemeinde Schweighausen und der Kirchengemeinde Nassau/Winden. Um Erinnerung an eines der düstersten Kapitel unserer deutschen Geschichte sollte es gehen – ebenso aber auch um den Appell, sich selbst für demokratische Grundrechte einzusetzen und für die Würde jedes einzelnen Menschen einzutreten, was in heutigen Tagen immer wichtiger wird.

Vorbereitet und durchgeführt wurde dieses Konfirmandenprojekt vonseiten der Stiftung Scheuern von Manuela Nörtershäuser (Kommunikation und Fundraising) und Franziska Klepper (Diakonisches Profil) sowie von den Pfarrkollegen Mariesophie Magnusson, Silke Funk und Matthias Schmidt. Für uns war es auch in Fragen der Methodik eine Herausforderung: „Wie vermitteln wir ein so schweres Thema wie Verfolgung und Krankenmorde an Menschen mit geistiger und physischer Behinderung zu Zeiten des Nationalsozialismus in einer Weise, dass es nicht nur „schockt“, sondern auch zu persönlichen Handlungskonsequenzen führt?

Örtlicher Ausgangspunkt war das Mahnmal an der Hauptverwaltung. Dort führte Franziska Klepper die Konfirmandengruppe sensibel in die Bewohnersituation von damals ein und zitierte dabei aus den Briefen ehemaliger Opfer, die in Todesangst auf die „grauen Busse“ warteten, die sie zur beschlossenen Ermordung in Hadamar brachten.

Anschließend ging es in die „Orgelpfeife“, den ehemaligen Betsaal der Stiftung – heute als Café und Begegnungsort genutzt. Hier wurde die Thematik der sogenannten Krankenmorde anhand eines Ausschnitts aus dem Film „Nebel im August“ verdeutlicht. Er erzählt die wahre Geschichte des Jugendlichen Ernst Lossa. Dieser stammte aus einer Familie von Jenischen, „Zigeunern“, wie man damals sagte, und galt als schwieriges Kind, wurde von Heim zu Heim geschoben, bis er schließlich – obgleich völlig gesund - in die psychiatrische Anstalt in Kaufbeuren eingewiesen und mit dem Stempel „asozialer Psychopath“ als „unwertes Leben“ gekennzeichnet wurde. Der Film zeigt seinen liebevollen Einsatz für seine Mitbewohner und sein gleichzeitiges Durchschauen der grausamen Wahrheit innerhalb der Anstaltsmauern. Am 9. August 1944 wurde er mit einer Giftinjektion ermordet.

Manuela Nörtershäuser stellte nun die entscheidenden Fragen nach der historischen Entwicklung. Wie konnte es in Deutschland überhaupt zu solchen Geschehnissen kommen? Denn parallel zum großen Kapitel des Holocaust gab es gleichermaßen dieses noch nicht so bekannte Kapitel der Krankenmorde – genauso angeordnet und bis ins kleinste Detail durchgeführt von der nationalsozialistischen Diktatur. In einer detaillierten Powerpoint-Präsentation wurden die Jugendlichen in die historischen Entwicklungen und die Begrifflichkeiten eingeführt. Rassenideologie, Eugenik und die „Euthanasieermächtigung“ wurden erklärt und direkt mit dem damaligen Alltag von Scheuern in Verbindung gebracht, das eine sogenannte „Zwischenanstalt“ war. Gezielt wurden die verschiedenen Phasen der Euthanasie dargestellt – bis zur Einführung der sogenannten E-Kost, einer Mangelernährung, die bei den Betroffenen ebenso zum Tode führte.

Im Anschluss erlebten wir dann den Zeitsprung ins „Heute“ der Stiftung Scheuern.  Zwei Bewohner erzählten von ihren persönlichen Erfahrungen und Lebensalltagen und schufen damit die Umkehrseite zur damaligen historischen Situation. Denn seit 1949 gilt ebenso der 3. Artikel unseres Grundgesetzes, in dem es unter anderem heißt: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Diesen Gedanken spürte abschließend Mariesophie Magnusson mit Überlegungen zum Thema „Hauptsache gesund?!“ nach. Sehr persönlich skizzierte sie die Frage, was denn menschliches Leben wirklich und echt ausmache und wie Gott jedes einzelne Leben hält und bewahrt – ungeachtet menschlicher Maßstäbe und Beurteilungen. Musikalisch begleitet von Kollege Matthias Schmidt, schlossen wir diesen nachdenklichen und nach-gehenden Nachmittag mit einem Körpergebet ab.

Ein Dank an alle, die diesen Tag mit ihrem Einsatz und ihren Gedanken ermöglichten. Wir planen, ihn in ähnlicher Weise auch im nächsten Kurs fortzusetzen. Denn wir halten mit aller Kraft daran fest: Nie wieder darf Menschen solches angetan werden. Nie wieder!“

Örtlicher Ausgangspunkt des Konfirmandenbesuchs war das Mahnmal an der Hauptverwaltung, wo Franziska Klepper aus Briefen von Opfern der nationalsozialistischen Euthanasie vorlas.