Das war vielleicht ein Gebelle, Gemaunze und Gekrähe: Beim jüngsten Auftritt der Theatergruppe Funkenflug verwandelte sich die Turn- und Festhalle der Stiftung Scheuern in einen Bauernhof, wenn nicht gar in einen Zoo. Auf dem Programm stand das Stück „Auf den Spuren der Bremer Stadtmusikanten“, dessen Name es im Grunde schon verrät: Das Ensemble begnügte sich nicht damit, ein berühmtes Märchen auf die Bühne zu bringen, sondern entwickelte dieses weiter und fügte ihm seine ganz eigene, persönliche Note hinzu. Oder wie Maria Metzger, die Leiterin der inklusiven Theatergruppe, eingangs betonte: „Wir haben dieses Stück extra für euch geschrieben.“ Man konnte also gespannt sein.
Gespannt auf die Nassauer Variante der ursprünglich in Bremen angesiedelten Geschichte, die sich um die Herzlosigkeit der Menschen und das bedauernswerte Schicksal ihrer Tiere dreht. Da ist beispielsweise die Katze (Monika Heppner), deren Frauchen das Interesse an ihr verliert, als sie ein Baby bekommt. Oder, schlimmer noch, der „Hahn von der Lahn“ (Christian Döllken), der völlig ohne Skrupel in der Suppe enden soll. Der schlaue Esel (Georg Klein) und der mindestens genauso pfiffige Hund (Lore Arnold) komplettieren das Quartett, das sich an der – imaginären – Nassauer Stadtmauer trifft und fortan unter dem bei den „Drei Musketieren“ abgekupferten Motto „Einer für alle, alle für einen“ wie Pech und Schwefel zueinanderhält. Denn eines steht für die Viererbande fest: „Nie im Leben gehen wir ins Tierheim!“ Wie sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Wie sie vom Nassauer Bahnhof aus in eine ungewisse Zukunft aufbrechen und wenig später durch den nächtlichen Limburger Wald irren. Und wie sie dort eine neue Bleibe finden, nachdem sie mit großem Getöse eine Horde Räuber (Horst Michel, Walter Moll, François Porombka und Iris Solomeyer) aus einem Haus vertrieben haben – all das wussten die Funkenflieger so lebendig darzustellen, dass man gar nicht anders konnte, als den Atem anzuhalten und mit ihnen mitzufiebern. Eine tolle Idee: Immer wieder tauschten die Schauspieler die Bühne gegen den Zuschauerraum und bezogen das Publikum so noch unmittelbarer in das turbulente Geschehen mit ein.
Doch es war nicht nur das temporeiche Spiel, was dieser Aufführung ihre besondere Würze gab. Auch die vielen liebevollen Details, etwa die hübsch gestalteten Masken der vier tierischen Hauptdarsteller oder der Soundtrack, der das Rattern der Eisenbahn und vieles mehr wiedergab, trugen zu Anschaulichkeit und Atmosphäre bei. Und: Damit man in all dem Trubel den Überblick behielt, hatten die Funkenflieger eigens eine Erzählerin (Christa Schienmann) engagiert, die die Handlung an den dramaturgisch entscheidenden Stellen geschickt zusammenfasste.
Dazu kam ein ordentlicher Schuss dichterische Freiheit. Wer würde sich beispielsweise jemals daran erinnern, dass sich die Stadtmusikanten im Grimm’schen Original mit den Räubern verbrüdern? In der Nassauer Variante des Spektakels taten sie es und feierten dieses Ereignis mit viel Tanz und Gesang – wodurch sich das Märchen am Ende sogar noch in eine Art Musical verwandelte. Und, gerade so, als ob das noch nicht genug gewesen wäre: Zusätzlich mischten drei ebenfalls nicht ganz originalgetreue Schneewittchen-Zwerge (Sandra Gregorius, Alexandra Klaiber, François Porombka) die Szene auf. Kein Wunder, dass das Publikum bei dieser ideenreichen Aufführung vorbehaltlos mitging.
Die Mitwirkenden im Überblick
Sie alle trugen zum Gelingen der Theateraufführung: Schauspieler: Lore Arnold, Christian Döllken, Sandra Gregorius, Monika Heppner, Alexandra Klaiber, Georg Klein, Maria Metzger, Horst Michel, Walter Moll, François Porombka und Iris Solomeyer; Leitung: Maria Metzger und Alexandra Klaiber; Requisiten: Sandra Gregorius; Musik: Willi Wall; Technik: Michael Vath.