Nicht nur deutlich mehr Stände, sondern auch spürbar mehr Leute und dementsprechend mehr Betrieb – dieses Fazit war am Ende von so gut wie allen Akteuren zu hören, als sie den diesjährigen Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung mit seinen Vorgängerveranstaltungen verglichen. Zum vierten Mal fand der 1992 ins Leben gerufene, europaweit am 5. Mai begangene Protesttag in der Region und, nach der Premiere in Dernbach, zum dritten Mal in der Montabaurer Innenstadt statt. Sein Sinn und Zweck ist es, auf die Situation von Menschen mit Behinderung aufmerksam zu machen und einen kleinen, aber wichtigen Beitrag dazu zu leisten, dass sie gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben können – kurz: einen Schritt in Richtung Inklusion zu gehen.
„Inklusion von Anfang an“ lautete das Motto diesmal. Und genau hier bestehe noch erheblicher Handlungsbedarf, betonte Peter Roos, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Eingliederungshilfe, die gemeinsam mit dem Netzwerk Inklusion im Westerwald als Veranstalter fungierte, bei der Eröffnung vor dem Alten Rathaus. „Die Umsetzung dieser Forderung in Kitas und Schulen ist nach wie vor mit Problemen behaftet – teils wegen unzureichender Ressourcen, teils wegen des fehlenden barrierefreien Umfelds“, machte Roos deutlich und fügte hinzu: „Wichtig ist, dass jedem Kind die Bildung angeboten werden kann, die es für ein selbstbestimmtes Leben braucht.“ Ein entscheidender Aspekt, den auch Landrat Achim Schwickert aufgriff: „Auf die Frage, was zu tun ist, um Inklusion zu verwirklichen, gibt es viele verschiedene, jeweils vom Einzelfall abhängige Antworten. Aber im Kern geht es immer darum, alle Menschen so zu akzeptieren sind, wie sie sind, Ängste abzubauen und aufeinander zuzugehen.“ Miteinander statt neben- oder gar gegeneinander – darauf kam auch Stadtbürgermeisterin Gabi Wieland in ihrem Grußwort zurück. „Es ist schön, dass heute so viele unterschiedliche Menschen in der Stadt sind“, zeigte sie sich erfreut.
Doch wie lief er nun ab, der Protesttag, bei dem insbesondere Ruben Rhensius, federführend für die Organisation zuständiger Mitarbeiter des Diakonischen Werks Westerwald und der Katharina-Kasper-Stiftung, im Dauereinsatz war? Zum einen animierten am Alten Rathaus verschiedene Programmpunkte zum Verweilen. Die inklusive Tanzgruppe Let’s Dance der Stiftung Scheuern zum Beispiel, die ebenso wie die Dreamcatcher der AWO-Gemeindepsychiatrie gleich mehrfach übers Parkett wirbelte. Oder die Integrative Kindertagesstätte St. Franziskus: Während sie auf der Bühne beim gemeinsamen Musizieren mit Kindern der Kreismusikschule für Stimmung sorgte, zog die Theater- und Sitztanzgruppe des Demenz-Netzwerks Montabaur-Wirges-Wallmerod mitten in der Fußgängerzone die Blicke auf sich. Sachlich-fachliche Information gab’s obendrauf: Rüdiger Merz vom Diakonischen Werk erklärte die wichtigsten Fakten zur Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung, die es seit Anfang des Jahres als niedrigschwelliges Angebot für Menschen mit Behinderung gibt.
Genügend Anreize zum Stehenbleiben, Neugierig-Werden und Nachfragen also. Was logischerweise auch für die mehr als 20 Stände gilt, die sich über die gesamte Fußgängerzone erstreckten. „Wir sind so global vertreten, dass wir einfach auffallen müssen“, sagte Jörg Gutfreund vom Neuwieder Heinrich-Haus dazu. „Wiederholungstäter“ wie die Katharina-Kasper-Stiftung aus Dernbach oder die Stiftung Scheuern aus Nassau präsentierten sich ebenso wie Neulinge – darunter zum Beispiel die ReWa GmbH, die seit gerade einmal zwei Wochen mit ihren Angeboten zur Alltagsbegleitung auf dem Markt ist. Und: Neben Organisationen, bei denen der Bezug zum Thema Behinderung auf der Hand liegt – man denke etwa an die Lebenshilfe oder die Gemeinnützige Gesellschaft für Behindertenarbeit – waren auch solche vertreten, bei denen dieser Zusammenhang nicht ganz so offensichtlich ist. In diese Kategorie fiel unter anderem der Verein Frauen gegen Gewalt, dessen Fachberatungsstelle Matia, wie man von Projektleiterin Kirsten Howind-Vieregge erfuhr, Frauen mit Handicap im Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen unterstützt.
Großen Zulauf hatten logischerweise vor allem die Mitmach- und Selbsterfahrungsangebote – sei es die Fotoaktion der Stiftung Scheuern, der Rollstuhlparcours des Behinderten- und Rehabilitationssportverbands oder der Sinnesparcours der Katharina-Kasper-Stiftung. Allerdings: Darüber, ob der Protesttag sein Ziel, die Passanten für die Belange von Menschen mit Behinderung zu sensibilisieren, erreicht hat, waren die Meinungen geteilt. Während Jörg Gutfreund von einer guten Resonanz berichtete, fasste Chris Martin vom Horbacher Ignatius-Lötschert-Haus seinen Eindruck mit den Worten „Gucken ja, Gespräche nein“ zusammen: „Themen wie Alter oder Behinderung werden eben am liebsten verdrängt.“ Eine Erfahrung, die Michelle Reßmann und Lara Doll von der Stiftung Scheuern mit ihm teilten: „Am ehesten stecken sich die Leute Flyer ein und nehmen dann im Nachgang Kontakt auf.“ Doch auch wenn der Nutzen oft nicht direkt greifbar ist, trifft zweifellos zu, was Passantin Barbara Assmann folgendermaßen formulierte: „Es ist toll, dass Menschen mit Behinderung in der Öffentlichkeit auf sich aufmerksam machen. Das müsste noch viel mehr geschehen.“