Feierlich und fröhlich, andächtig und lebhaft, besinnlich und spritzig-witzig – all das war die Veranstaltung, zu der die Stiftung Scheuern am vergangenen Sonntag einlud. Und eigentlich noch viel mehr, nämlich eine außergewöhnliche Ehrung: Im Rahmen des Gottesdienstes im Versammlungsraum erhielten Christa Schienmann, langjährige ehrenamtlich tätige Bewohnerin, und Gisela Schönrock, langjährige ehrenamtliche Mitarbeiterin der Stiftung Scheuern, als Zeichen der Anerkennung für ihr vielfältiges Engagement das Goldene Kronenkreuz der Diakonie Hessen. Wobei beide Damen selbst tatkräftig an der Veranstaltung mitwirkten. Doch dazu gleich mehr.
„Quasimodo geniti“ – diese lateinische Vokabel habe nichts mit dem Glöckner von Notre Dame zu tun, betonte Pfarrer Gerd Biesgen, Vorstand der Stiftung Scheuern, augenzwinkernd in seiner Begrüßung. „Wie die Neugeborenen“, so die deutsche Übersetzung, heißt vielmehr der Sonntag nach Ostern, der Weiße Sonntag, der früher der klassische Tauftag war. „Wir taufen heute keine Kinder“, so Pfarrer Biesgen. „Aber wir haben Anlass, uns zu freuen wie die Neugeborenen.“
Anlass, sich zu freuen über die Auszeichnung zweier Frauen, die es sich selbst an ihrem Ehrentag nicht nehmen ließen, einen Teil ihres Ehrenamts auszuüben. Christa Schienmann sang nicht nur im Chor der evangelischen Kirchengemeinde der Stiftung Scheuern mit, sondern erfüllte auch ihre Funktion als ehrenamtliche Lektorin. Gisela Schönrock wiederum dirigierte besagten Chor und spielte, rund um die eigentliche Kronenkreuzverleihung von ihrer Tochter Petra Schönrock-Wenzel vertreten, die Orgel. Lesung und Predigt drehten sich um die Geschichte des ungläubigen Thomas aus dem Johannesevangelium. „Sein Zweifel macht mir den Apostel Thomas sympathisch. Denn er zeigt, dass er den Dingen auf den Grund geht. Daran ist nichts verwerflich. Im Gegenteil: Der Zweifel ist ein Element jeden wahrhaftigen Glaubens“, sagte Pfarrer Biesgen – und leitete elegant zum Herzstück dieses Gottesdienstes über.
Stück für Stück befreite er eine großformatige Abbildung des Kronenkreuzes, die neben dem Altar zu sehen war, von ihrer Verkleidung und veranschaulichte so die Bedeutung des Diakoniezeichens, das Professor Richard Böhland von der Kunstschule Berlin vor 90 Jahren entworfen hat. Die Buchstaben I und M, so erfuhr man, stehen für Innere Mission, die Vorläuferin der heutigen Diakonie. Gut, aber warum Kronenkreuz? Ganz einfach: Durch einen Querbalken wird das I zum Kreuz, mit dem das stilisierte M wie eine Krone verwoben ist. „Das Kreuz steht für Not und Tod, die Krone für Hoffnung und Auferstehung“, so Pfarrer Biesgen.
Dann kam der große Moment: Wolfgang Clotz, Referent für Sozialpsychiatrie und Behindertenhilfe bei der Diakonie Hessen, überreichte Christa Schienmann und Gisela Schönrock die Auszeichnung, die aus dem Goldenen Kronenkreuz in Gestalt einer Brosche sowie einer Ehrenurkunde bestand. Selbstverständlich nicht, ohne auf die herausragenden Verdienste der beiden Damen einzugehen. „Zusammen haben sie mehr als 100 Jahre Ehrenamt für andere Menschen erbracht“, sagte Clotz. So sei Christa Schienmann zwar seit 2012 in Rente, aber deshalb noch lange nicht im Ruhestand. Seit vielen Jahren ist die gebürtige Wuppertalerin, die als Fünfjährige nach Scheuern kam, Mitglied des Kirchenvorstandes und bringt sich darüber hinaus als ehrenamtliche Küsterin und Lektorin in die Kirchengemeinde der Stiftung ein. Und das ist noch längst nicht alles: Christa Schienmann ist Mitglied der Zukunftskonferenz und setzt sich auch als Vorsitzende der Bewohnervertretung für die Gemeinschaft ein. Nicht zuletzt habe ihn auch beeindruckt, was er über Christa Schienmanns Wohnortwechsel im Jahr 2000 erfahren habe, fügte Wolfgang Clotz hinzu. „Damals ist sie freiwillig ins Dachgeschoss über dem Casino umgezogen, damit schwerstbehinderte Menschen in Scheuern aufgenommen werden konnten“, berichtete der Diakonie-Vertreter und zitierte aus einer schriftlichen Beurteilung der Geehrten, in der es heißt: „Sie setzt ihre Stärken (Kognition, Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein) gern zum Wohl der Gemeinschaft ein, wobei ihr Privatleben häufig zu kurz kommt.“
Zumindest der erste Teil dieser Aussage trifft zu 100 Prozent auch auf Gisela Schönrock zu. Seit sage und schreibe 60 Jahren leitet sie den Chor der Stiftung Scheuern, der in mehr als 60 Städten und Gemeinden der Bundesrepublik Deutschland aufgetreten ist und dort die Stiftung bekannt gemacht hat. „Heute nennt man das Markenbotschafterin“, kommentierte Wolfgang Clotz. Mit ihrem Chor ist Gisela Schönrock unverzichtbarer Bestandteil zahlreicher Festivitäten und Anlässe. Um das Jahr 1960 herum führte sie zudem das Maisingen ein, bei dem im Sinn der Inklusion neben den Bewohnern der Stiftung Scheuern auch alle Nassauer Bürger zum Mitsingen eingeladen sind – das nächste Mal am Mittwoch, 29. April, ab 18.30 Uhr im Versammlungsraum der Stiftung. Auch das von ihr eingeführte und jedes Jahr neu gestaltete Krippenspiel ist längst nicht mehr aus dem Leben der Gemeinschaft wegzudenken.
Seit mehr als 20 Jahren ist Gisela Schönrock zudem ehrenamtliche Betreuerin einer Bewohnerin der Stiftung Scheuern – und war, „nebenbei“ bemerkt, insgesamt 41 Jahre lang als Lehrerin der Sonderschule der Heime Scheuern sowie der Sonderschule für Lernbehinderte in Altendiez tätig. Eine überaus engagierte Persönlichkeit also. Und eine humorvolle dazu: „Nachdem ich die riesige Abbildung des Kronenkreuzes neben dem Altar gesehen habe, bin ich erleichtert, dass es in Wirklichkeit nur so klein ist“, bekannte sie – und wurde vom stellvertretenden Kirchenvorstandsvorsitzenden Matthias Quente noch für ihr Organistenjubiläum geehrt. Denn, das ist noch gar nicht zur Sprache gekommen: Gisela Schönrock ist auch seit 60 Jahren als ehrenamtliche Organistin der Kirchengemeinde im Dauereinsatz.