„Wir haben hier alles, was wir brauchen“, sagte Nico Manns. Und: „Es ist ein großes Glück, dass es dieses Haus gibt.“ Im März zog der 20-Jährige als einer der Ersten in das neue Wohnhaus ein, das die Stiftung Scheuern seit drei Monaten auf der Bad Emser Wipsch für Menschen mit erworbener Hirnschädigung betreibt. Am vergangenen Freitag hatte er nun die ehrenvolle Aufgabe, als Allererster die Gäste zur offiziellen Eröffnung des Hauses zu begrüßen. Deutlich mehr als 150 Besucher trotzten den schweißtreibenden Temperaturen, um sich über dieses neue und in Rheinland-Pfalz bislang einmalige Angebot der Stiftung Scheuern zu informieren, das insgesamt 16 von erworbener Hirnschädigung betroffenen Menschen eine neue Heimat bietet. 16 Menschen, denen beispielsweise ein Unfall, ein Schlaganfall oder eine Tumorerkrankung den Boden unter den Füßen weggezogen hat und die hier, rund um die Uhr von einem in neurologischer Rehabilitation geschulten Fachteam betreut, den Weg zurück ins Leben finden können.
Doch was sich fast nach heiler Welt anhört, war in der Entstehungsphase mit erheblichen Mühen und Anstrengungen verbunden – das konnte man zumindest erahnen, als Pfarrer Gerd Biesgen, Vorstand der Stiftung Scheuern, in seiner Begrüßung plastisch-drastisch von einer „Zangengeburt mit Saugglocke“ sprach. „Zum Glück hatten wir Geburtshelfer wie die Aktion Mensch und die Hannelore Kohl Stiftung“, sagte er mit Blick auf die finanzielle Unterstützung für das insgesamt 900 000 Euro teure Projekt.
Logisch, dass auch die Vertreter aus Politik und Gesellschaft anerkennende Worte für das fast noch funkelnagelneue Wohnhaus fanden. „Für den Gedanken der Inklusion hat diese Wohnstätte eine ganz besondere Bedeutung, denn sie holt Menschen mit Behinderung in die Mitte der Gesellschaft“, sagte Gisela Bertram, Erste Beigeordnete des Rhein-Lahn-Kreises. Während Stadtbürgermeister Berny Abt auf bereits gemeinsam mit der Stiftung Scheuern realisierte Vorhaben wie das Wohnprojekt in der Wilhelmsallee oder den Berufsintegrationsservice hinwies, betonte Carsten Werner, Erster Beigeordneter der Verbandsgemeinde: „Erworbene Hirnschädigung kann jedem von uns widerfahren. Hier im Herzen von Bad Ems finden betroffene Menschen eine Umgebung, die sie fördert und die ihnen guttut.“ Pfarrer Armin Himmighofen von der evangelischen Kirchengemeinde Bad Ems wiederum lobte die aktive, von Selbstmitleid freie Haltung derjenigen, die hier eingezogen sind. „Sie haben kein Interesse daran, Opfer zu sein, sondern ziehen es vor, ein selbstbestimmtes Leben zu führen“, so der Geistliche.
Einen ebenso informativen wie anschaulichen Einblick bot auch der kurze Bericht von Bernd Feix, dem Leiter Behindertenhilfe der Stiftung Scheuern. Rückblickend erzählte er, wie er 2008 gemeinsam mit seinen Kollegen Jörg Bremser und Julia Tiwi nach Hamburg und Husum fuhr, um sich dort über Betreuungsmöglichkeiten für Menschen mit erworbener Hirnschädigung zu informieren und wie das Trio von dieser Reise mit dem Entschluss zurückkehrte, ein stationäres Wohnangebot für eben diese Menschen zu schaffen: „Es war ein langer Weg. Aber jetzt stehen wir hier und weihen dieses Haus ein. Das ist für mich ein sehr bewegender Moment“, betonte Feix und leitete zur offiziellen Taufe des Gebäudes über: Stadtbürgermeister Berny Abt und Erich Czeschlik, Vorsitzender des Stiftungsrats der Stiftung Scheuern, enthüllten eine Gedenktafel mit Bildnis und Namen von Elmar Cappi, einem von erworbener Hirnschädigung betroffenen, im Januar verstorbenen ehemaligen Bewohner der Stiftung Scheuern, dessen Schicksal die Verantwortlichen maßgeblich zu ihrer Initiative inspiriert hat.
Und es fand noch ein symbolischer Akt statt: Helga Lüngen, Geschäftsführerin der Hannelore Kohl Stiftung, überreichte Elzbieta Höser, Leiterin des Fachbereichs für Menschen mit erworbener Hirnschädigung und somit Hausherrin des frischgetauften Elmar-Cappi-Hauses, Scheck und Schlüssel. Die Hannelore Kohl Stiftung unterstützt das Projekt mit einer Anschubfinanzierung in Höhe von 30 000 Euro, die unter anderem in die Anschaffung eines rollstuhlgerechten Fahrzeugs geflossen sind. „In Deutschland gibt es für Menschen mit erworbener Hirnschädigung eine hervorragende neurologische Versorgung“, sagte Helga Lüngen. „Aber danach klafft eine große Lücke. Wir glauben fest daran, dass viele Ihrem Modell folgen werden.“
Ende des offiziellen Teils und Startschuss für die Besichtigung des Elmar-Cappi-Hauses: Zahlreiche Besucher nutzten die Gelegenheit, um sich einer der Führungen durch die hochmodernen Räumlichkeiten anzuschließen, eine Präsentation anzuschauen oder die Eröffnung ganz einfach bei guten Gesprächen ausklingen zu lassen.
Übrigens: Für die musikalische Umrahmung der Eröffnungsfeier sorgten die Musiker Stefan Tiefenbacher am Saxofon und Walter Weh am E-Piano. Stefan Tiefenbacher ist seit einem schweren Motorradunfall vor 16 Jahren selbst von erworbener Hirnschädigung betroffen und erkämpfte sich mithilfe der Musik seinen Weg zurück ins Leben. Mit größtenteils selbst komponierten Liedern, die sich zwischen Jazz, Blues und Ballade bewegten, begeisterten die beiden ihr Publikum.