„Dass es so ausartet, hätte ich nicht gedacht“, sagt Peter Siegburger. Aber halbe Sachen kennt der 67-Jährige offenbar nicht: Peter Siegburger bringt sich seit etlichen Monaten mit sehr viel Engagement und Tatkraft in die Flüchtlingshilfe ein. Wovon nicht zuletzt eine Gruppe unbegleiteter jugendlicher Flüchtlinge profitiert, die im vergangenen Spätjahr aus Afghanistan in den Rhein-Lahn-Kreis gekommen sind. Zunächst kurzzeitig im Familienferiendorf in Hübingen untergebracht, wurden die Jugendlichen im Alter von 15 bis 18 Jahren anschließend sechseinhalb Monate lang von der Stiftung Scheuern in Nassau betreut. Ein Engagement, mit dem die Stiftung das für die Flüchtlinge zuständige Jugendamt des Rhein-Lahn-Kreises unterstützte, das aber von vornherein zeitlich befristet war: Nachdem die Scheuerner sehr kurzfristig bereit gewesen war, vorübergehend Quartier und pädagogische Betreuung für die afghanischen Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen, fand die Kreisverwaltung eine Möglichkeit, diese in einem von der Hephata Diakonie betriebenen Haus in Diez unterzubringen. 14 der insgesamt 20 Jugendlichen leben bereits dort.
Stets an vorderster Front mit dabei: Peter Siegburger, der den Heranwachsenden Deutschunterricht gibt und ihnen bei der Eingewöhnung in ihrer neuen Umgebung zur Seite steht. Wie er, der bereits in Rente ist, eigentlich zu dieser sehr wertvollen, aber auch sehr arbeitsintensiven Tätigkeit gekommen ist? „Im Grunde wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind“, antwortet er. Als junger Mann habe er aus beruflichen Gründen vier Jahre lang im Iran gelebt, erzählt der gelernte Maschinenbautechniker: „Das Unternehmen, bei dem ich damals gearbeitet habe, hatte Werkzeugmaschinen an den iranischen Staat verkauft, und meine Aufgabe war es, das iranische Personal an diesen Maschinen zu schulen. Da die Betreffenden kein Englisch sprachen, blieb mir nichts anderes übrig, als Farsi zu lernen.“ Dass Farsi nicht nur die iranische, sondern auch die afghanische Landessprache ist, sollte jetzt, rund vier Jahrzehnte später, für ihn wichtig werden. „Ich habe für den Willkommenskreis in Diez gearbeitet. Als die jungen Afghanen nach Hübingen kamen, hieß es dort: ‚Du kannst doch Farsi.‘ Und danach hat dann die Stiftung Scheuern bei mir angefragt.“ Dort gab und gibt Peter Siegburger den Jugendlichen Deutschunterricht – zunächst als tägliches Pflichtprogramm, danach, als die Flüchtlinge je nach Alter zur Realschule Bad Ems Nassau oder zur Berufsbildenden Schule Diez gingen, als freiwilliges Angebot. „Dass ich mich in der Landessprache auskenne, ist natürlich ein großer Vorteil, denn dadurch geht vieles schneller“, sagt Peter Siegburger, dessen Unterricht weit über die pure Vermittlung von Grammatik und Vokabeln hinausreicht. „Es geht nicht zuletzt auch um praktische Dinge – zum Beispiel um den richtigen Umgang mit Geld oder darum, wie man den Führerschein macht“, sagt er. Außerdem begleitet er die 15- bis 18-Jährigen, wo nötig, zum Arzt oder aufs Amt, dolmetscht und hilft, wo er nur kann.
Wie schon gesagt, halbe Sachen mag er nicht: Auch außerhalb der Stiftung Scheuern ist Peter Siegburger nach wie vor in der Flüchtlingshilfe aktiv – beispielsweise, indem er im Umkreis seines Wohnorts Heilberscheid afghanische Familien betreut. 50 bis 60 Stunden pro Woche kämen auf diese Weise locker zusammen, erzählt er. Was ihn eigentlich dazu antreibt? „Vielleicht hängt es damit zusammen, dass ich aus einer sehr weltoffenen und sozial eingestellten Familie stamme“, erwidert er. „Mein Vater war beruflich weltweit unterwegs. Wir waren es gewohnt, Menschen aus aller Herren Länder bei uns zu Gast zu haben.“
Sich bei seiner aktuellen Tätigkeit allein auf seine Farsi-Kenntnisse zu verlassen, wäre dem Unruheständler übrigens zu wenig gewesen. Er hat an einer vom Diakonischen Werk angebotenen Schulung zum Flüchtlingslotsen teilgenommen, in der es unter anderem um Inhalte wie Asylrecht oder Traumabewältigung ging. „Die umfangreiche Zuwanderung von Flüchtlingen und das Zusammentreffen von Orient und Okzident stellen unsere Gesellschaft vor eine große Herausforderung“, räumt er ein. „Ohne Toleranz, und zwar von beiden Seiten, kann das nicht funktionieren.“ Beim überwiegenden Teil der Deutschen beobachtet er zwar, auch auf längere Sicht, eine „extreme Hilfsbereitschaft“. Eitel Sonnenschein herrscht, was die Integration betrifft, deshalb aber noch lange nicht. Ein ziemlich großes Problem: „Zwei der insgesamt 20 Flüchtlinge konnten zwar bei der Stiftung Scheuern ein Praktikum machen“, erzählt Peter Siegburger. „Aber unsere Bemühungen, weitere Jugendliche in Praktika außerhalb der Stiftung zu vermitteln, haben die Behörden leider immer wieder vereitelt. Es ist aber nicht gut, wenn die Jugendlichen zu wenige Aufgaben und damit zu wenige Perspektiven haben.“