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Pfarrer Gerd Biesgen: „Nicht zu vergessen, ist wichtiger denn je“


Am Mahnmal auf dem Campus der Stiftung Scheuern haben rund 70 Menschen der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf Menschen mit Behinderung, die unter dem NS-Regime zu Hunderttausenden ermordet wurden.

Am 1. September 1939 begannen zwei Kriege. Der Überfall auf Polen war der Beginn des Zweiten Weltkriegs. Dieses Datum trägt jedoch auch eine Kriegserklärung nach innen, wie Pfarrer Gerd Biesgen, Theologischer Vorstand der Stiftung Scheuern, deutlich machte. Dieser Krieg richtete sich gegen Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung, die schon jahrelang als „unnütze Esser“ und „Ballastexistenzen“ diffamiert worden waren. Ein von Adolf Hitler persönlich unterzeichnetes Papier gab schließlich den Startschuss für das „Euthanasie“-Programm der Nationalsozialisten. Wie jüdischen Menschen sollten auch diese Menschen einer „Endlösung“ zugeführt werden.

Das im Jahr 2000 errichtete Mahnmal befindet sich in einem Hof, von dem in der ersten Hälfte der 1940er-Jahre graue Busse in Richtung Hadamar abfuhren. So wurden insgesamt rund 1500 Menschen aus der damaligen Zwischenanstalt Scheuern in die Tötungsanstalt nahe Limburg gebracht und dort ermordet. „Nicht zu vergessen, ist wichtiger denn je“, sagte Pfarrer Gerd Biesgen am offiziellen Gedenktag, der allen Opfern des NS-Regimes gewidmet ist: Juden, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Zwangsarbeiter, Homosexueller, politischer Gefangener, Kranker und Menschen mit Behinderung sowie jenen, die mutig Widerstand leisteten oder anderen Schutz gewährten.

Einer, der Widerstand leistete, war der evangelische Pfarrer Dietrich Bonhoeffer. Er sagte angesichts der Judenpogrome: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“ Pfarrer Gerd Biesgen erläuterte dazu: „Ich kann nicht gut Christ sein, wenn ich mich nicht für das bleibende Existenzrecht des Volkes einsetze, dem die erste Offenbarung dessen galt, den wir Gott nennen.“ Heute müsse man dies tun, ohne etwas anderes zu lassen. Nämlich in gleicher Weise für die Rechte der Palästinenser eintreten. Unrecht geschehe auf beiden Seiten, und es gebe „auf beiden Seiten Menschen, die sich für Frieden einsetzen, die dem Hass entgegenwirken.“

Als am 27. Januar 1945 das Vernichtungslager Auschwitz von russischen Soldaten befreit wurde, saß Dietrich Bonhoeffer schon fast zwei Jahre lang im Gefängnis. Wenige Wochen später wurde er hingerichtet. Sein Gedicht „Von guten Mächten“, heute als Lied weithin bekannt, schrieb der Theologe in Haft. Pfarrer Gerd Biesgen schloss seine Rede zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus mit weiteren Zitaten Bonhoeffers. „Christsein besteht im Tun des Gerechten unter den Menschen“ etwa, oder: „Es gibt vor Gott kein lebensunwertes Leben!“

Franziska Klepper, in der Stiftung Scheuern für das Diakonische Profil zuständig, las aus Briefen, die Bewohner der damaligen Anstalt Scheuern in den 1940er-Jahren an Angehörige geschrieben hatten, von der Heimleitung jedoch abgefangen wurden. Zitate aus solchen Briefen finden sich im Mahnmal wieder. Musikalisch begleitet wurde das Gedenken durch 20 Musikerinnen und Musiker der Lahnsin(n)fonie unter Leitung von Michael vom Dorp. Sie stimmten unter anderem den Kanon „Dona Nobis Pacem“ an, zu Deutsch: „Gib uns Frieden!“

Am Mahnmal der Stiftung Scheuern wurde der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf Menschen mit Behinderung, die unter dem NS-Regime zu Hunderttausenden ermordet wurden.