„Nach sieben Wochen bin ich froh, endlich wieder hier zu sein“, sagt Mahadevan Bassin und fügt hinzu: „Zu Hause ist mir einfach die Decke auf den Kopf gefallen.“ Keine Frage, der junge Mann freut sich, dass die Werkstätten der Stiftung Scheuern nach der coronabedingten Schließung jetzt schrittweise wieder öffnen – und er zu den ersten zählt, die nach der Zwangspause an den Start gehen können. Seit dem 4. Mai ist es möglich, dass Beschäftigte ihre Arbeit in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) wieder aufnehmen.
Was sich im ersten Moment eher unspektakulär anhört, fordert allen Beteiligten eine Menge Flexibilität und Disziplin ab. „Morgens bekommen alle als Erstes einen Mund-Nasen-Schutz“, erklärt Andrea Mäurer, die Leiterin des Montage- und Dienstleistungszentrums (MDZ) der Stiftung Scheuern in Bad Ems, in dem auch Mahadevan Bassin arbeitet. Bis zum Feierabend wird die Maske zwei Mal gewechselt, danach von der stiftungseigenen Wäscherei gereinigt und wieder in Umlauf gebracht. Außerdem gelten die gängigen Mindestabstandsregeln natürlich auch in der WfbM, und es wird sehr viel Wert auf regelmäßiges Händewaschen und -desinfizieren gelegt. „Um Begegnungen auf engem Raum zu vermeiden, müssen zum Beispiel Toilettenbesuche angekündigt werden“, beschreibt Andrea Mäurer das Prozedere. Die MDZ-Beschäftigten, die bisher wieder hier arbeiten, würden sich hervorragend an die neuen Regeln halten, berichtet sie: „Aber je mehr Beschäftigte zurückkommen, desto schwieriger wird es vermutlich werden.“
381 Menschen mit Beeinträchtigung arbeiten in elf Arbeitsfeldern bei der Stiftung Scheuern sowie bei verschiedenen Kooperationspartnern – und auch wenn vorerst nicht alle zurückkommen können, weil Menschen mit Vorerkrankungen noch zu Hause bleiben müssen, versteht es sich fast von selbst, dass bei der schrittweisen Rückkehr nach dem Corona-Lockdown ohne eine gute Vorbereitung und Planung gar nichts geht. Die Marschrichtung gibt dabei die jeweils gültige Landesverordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vor. Auf ihrer Grundlage hat die Stiftung Scheuern Konzepte für die Wiedereröffnung erarbeitet und beim Sozialministerium zur Genehmigung eingereicht – für jede der elf Werkstätten einzeln, versteht sich, da vor allem die räumlichen Gegebenheiten überall anders sind. In einem ersten Schritt wurden alle externen Werkstattbeschäftigten, die nicht in der Stiftung Scheuern wohnen, gefragt, ob sie Lust hätten, wieder zur Arbeit zu kommen. Rund 50 von ihnen haben ja gesagt. „Die Eingrenzung auf die externen Beschäftigten ging auf die vorherige Landesverordnung zurück, der zufolge jeder Bewohner, der seine Wohngruppe verlassen hätte und wieder zurückgekommen wäre, erst einmal 14 Tage lang in Quarantäne gemusst hätte“, erklärt Jörg Bremser, Fachbereichsleiter Bildung – Arbeit – Teilhabe bei der Stiftung Scheuern. Mit der aktuellen Landesverordnung, die die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit der Bewohner wiederherstellt, hat sich das geändert, sodass seit dem 18. Mai auch die in der Stiftung Scheuern lebenden Beschäftigten wieder zurückkehren können, sofern sie keine Vorerkrankung haben. Und sofern sie es denn überhaupt wollen, denn ausschlaggebend ist bei alledem die Freiwilligkeit. „Vereinzelt haben Menschen das Angebot abgelehnt, wenn ihnen das Infektionsrisiko zu hoch zu sein schien“, berichtet Bremser. „Aber im Großen und Ganzen wollen sie alle wieder anfangen. Auch die Mitarbeiter freuen sich, dass in den Werkstätten der Bildungs- und soziale Auftrag nun wieder im Fokus steht.“
Eines steht dabei allerdings fest: dass die Sicherheitsmaßnahmen mit Mund-Nasen-Schutz und Abständen noch lange nicht erschöpft sind. Auch zu Zugangskontrollen, Hygienemaßnahmen, Lüften und vielem mehr gibt es exakte Vorgaben. Großen Wert legt man bei den internen Beschäftigten zum Beispiel auf geschlossene Kreisläufe – was so viel bedeutet wie: Diejenigen, die zusammen in einer Wohngruppe leben, holt der Fahrdienst getrennt von allen anderen ab. Sie arbeiten in einem separaten Raum, verbringen separat die Mittagspause und werden auch separat wieder nach Hause gebracht.
Mit dem bisherigen Verlauf des „Neustarts“ sei er sehr zufrieden, bekräftigt Jörg Bremser und fügt hinzu: „Allerdings haben wir aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation einen Auftragsrückgang zu verzeichnen und deshalb noch Ressourcen frei.“ Nicht einfach zu handhaben seien vor allem auch die kurzfristigen Weisungen des Landes: „Die Beschäftigten möchten natürlich gerne wissen, wie es weitergeht. Aber weil wir es selbst auch nicht früher erfahren, können wir ihnen das erst in dem Moment sagen, in dem die jeweils nächste Landesverordnung bekannt wird.“
Viele Unklarheiten gebe es, sodass man immer nur von Tag zu Tag planen könne, bestätigt Matthias Behnke, der als Werkstattleiter für den Standort Singhofen mit den Arbeitsbereichen Metallverarbeitung, Montage/Verpackung und Wäscherei zuständig ist. Aber, das ist ihm wichtig zu betonen: „Im Team herrscht eine tolle, konstruktive und sachliche Stimmung. Nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Mitarbeitenden sind mit Leidenschaft dabei und bereit, die Vorgaben so umzusetzen, wie sie eben kommen.“ Und wenn man diese Vorgaben den Werkstattbeschäftigten, bei denen es sich zum größten Teil um Menschen mit geistiger Behinderung handelt, gar nicht vermitteln kann? „Bisher klappt es sehr gut“, erwidert Matthias Behnke. „Aber natürlich wird dies, wenn zunehmend Menschen mit einem höheren Assistenzbedarf zurückkommen, zu einer Herausforderung werden. Im schlimmsten Fall müssen sie dann leider zu Hause bleiben.“ Doch danach sehe es erst einmal nicht aus, denn: „Alle sind froh, dass es wieder losgeht und endlich wieder Leben in der Bude ist.“
Eine Erfahrung, die auch Mark Solomeyer, der Vorsitzende des Werkstattrats der Stiftung Scheuern, zurzeit tagtäglich macht. „Die Stimmung ist bestens“, freut er sich und erzählt, dass seine Werkstattsrats-Kollegen und er zahlreiche Anrufe von Werkstattbeschäftigten bekommen. „An zwei Tagen in der Woche stehe ich auch in meinem Büro in der Langauer Mühle für Gespräche zur Verfügung“, sagt Mark Solomeyer, der momentan überwiegend im Homeoffice arbeitet. Und noch etwas liegt ihm sehr am Herzen: „Wenn ich sehe, dass es Leute gibt, die gegen die Maskenpflicht und andere Corona-Regeln auf die Straße gehen, tut mir das unheimlich weh. Von denen denkt keiner an Menschen mit Beeinträchtigung, die durch das Virus besonders gefährdet sind.“