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Sexualpädagogen bieten Seminar für Klienten an: Zwei Tage sind dem Thema Aufklärung gewidmet


Liebe, Partnerschaft und Sexualität haben für alle Menschen eine wichtige Bedeutung. Menschen mit Behinderung benötigen oft individuelle Unterstützung, um diese Grundbedürfnisse zu leben. Die Sexualpädagoginnen und Sexualpädagogen der Stiftung Scheuern haben dem Thema Aufklärung jetzt ein Seminar für Bewohner und Beschäftigte gewidmet. Erstmals hatte man dafür zwei volle Tage veranschlagt.

Bereits seit 2016 werden Mitarbeitende der Stiftung Scheuern zu Sexualpädagogen ausgebildet. Derzeit gibt es vier entsprechend qualifizierte Mitarbeitende, die in unterschiedlichen Bereichen tätig sind. Zwei weitere befinden sich in Ausbildung. Barbara Goebels (Gastronomie), Carmen Weis (Wäscherei) und Svenja Göbler aus dem Berufsbildungs- und Integrationsservice (BIS) sind Sexualpädagoginnen der ersten Stunde, Bastian Höhler aus der Tagesförderstätte schloss im vergangenen Jahr seine Fortbildung ab.

Die UN-Konventionen für Menschen mit Behinderung garantieren das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und das Recht auf Partnerschaft, Ehe, Familie und Elternschaft. Deshalb greifen die Sexualpädagogen im zweitägigen Seminar verschiedene Formen von Liebe und Sexualität auf. „Jeder kann jeden lieben“, benennt Bastian Höhler einen Grundsatz. „Das muss man nicht mögen, aber es ist okay“, fügt er hinzu, um deutlich zu machen, dass Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Beziehungen wichtig ist. Doch es gibt es Regeln, die einzuhalten sind und die klar benannt werden. Zum Beispiel, dass man nur in einem privaten Raum intim werden darf.

Viel Wert wird auch auf die Themen Nähe und Distanz gelegt. Das Erkennen der eigenen Grenzen sowie Methoden, wie man diese Grenzen anderen vermittelt, spielen eine wichtige Rolle im Seminar. Der Grund: Der Schutz vor sexualisierter Gewalt gehört ebenfalls zu den verbrieften Menschenrechten.

Aufklärungsangebote hat es in der Stiftung Scheuern auch zuvor schon gegeben. Mehrtägige Seminare sind hingegen neu. Neben vielen Informationen bieten sie viel Raum für Fragen und deren Beantwortung. „Wir haben ein Schulungskonzept entworfen, das je nach Bedarf in den Wohngruppen oder anderen Bereichen angepasst werden kann“, sagt Barbara Goebels.

Schon am ersten Tag des Seminars wird deutlich, wie wichtig es ist, dass drei Sexualpädagogen gleichzeitig die Fortbildung durchführen. „Es ist zum Teil sehr emotional. Da ist es gut, wenn einer von uns mal mit jemandem unter vier Augen sprechen kann“, sagt Bastian Höhler. Barbara Goebels ergänzt: „Es gibt Klientinnen und Klienten, die Übergriffigkeit oder gar Missbrauch erlebt haben. Das kommt bei einer solchen Veranstaltung schon mal hoch. Dann muss man sich für die Betroffenen Zeit nehmen können.“ Natürlich spiele dabei auch eine wichtige Rolle, dass Experten beiderlei Geschlechts als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.

Der zweite Schulungstag steht unter dem Thema sexuelle Gesundheit, sexuell übertragbare Krankheiten und Möglichkeiten der Verhütung. Dazu wird mithilfe von Arbeitsmaterial in einfacher Sprache aufgeklärt und beraten. Praktisches Training zum sicheren Umgang mit einem Kondom gehört ebenso dazu wie das Kennenlernen anderer Verhütungsmöglichkeiten. Passendes Anschauungsmaterial wurde von den Sexualpädagogen in den vergangenen Jahren in einem „Verhütungskoffer“ zusammengetragen. Viele Fragen drehen sich auch um sexuell übertragbare Krankheiten, wie man sich schützen kann und was im Falle einer Ansteckung zu tun ist. „Dabei ist es wichtig, einfühlsam mit den Klienten ins Gespräch zu kommen, um sie nicht zu verunsichern“, sagt Sexualpädagogin Carmen Weis.

Der Bedarf an Aufklärung und Beratung ist groß. Beziehungen am Arbeitsplatz in den Werkstätten sind immer wieder Thema. Gerade junge Menschen, die erstmals von zu Hause weg und in eine Wohngruppe ziehen, haben viele Fragen. „Sexualität ist oft ein Thema, über das in der Familie nicht gesprochen wird“, weiß Sexualpädagogin Barbara Goebels. Manche Klienten möchten wissen, wie und wo man einen potenziellen Partner oder eine mögliche Partnerin kennenlernen kann. Auch Werkstätten anderer Träger und Förderschulen treten mit dem Wunsch nach Beratung an die Stiftung Scheuern heran. „Wir sind mit unserem Fachkonzept Sexualpädagogik sehr fortschrittlich aufgestellt“, erläutert Barbara Goebels. „Viele andere Einrichtungen haben so etwas gar nicht.“

Die Stiftung Scheuern hat vor einigen Jahren mit ihrem Konzept und den Sexualpädagoginnen und -pädagogen einen wichtigen fachlichen Standard eingeführt. Pro Familia Koblenz stand der Nassauer Einrichtung dabei beratend zur Seite. Damit hat die Stiftung auch eine Vorreiterrolle eingenommen. „Unser sexualpädagogisches Konzept wird inzwischen auch durch die Beratungs- und Prüfbehörde als Standard anderen Einrichtungen empfohlen“, sagt Bernd Feix, Pädagogischer Vorstand der Stiftung Scheuern. Es sei auch ein wichtiger Baustein des gesetzlich vorgeschriebenen Gewaltschutzkonzeptes. „Die hervorragende Zusammenarbeit mit Pro Familia hat mit einer gemeinsamen Fachfortbildung zum Thema Sexualisierte Gewaltweitere Früchte getragen, über die ich sehr froh bin“, sagt Bernd Feix.

Beim Seminar liegen Broschüren zum Thema Sexualität in leichter Sprache aus.