Sozialministerin Bätzing-Lichtenthäler besucht die Stiftung Scheuern
Herzlich empfangen wurde die rheinland-pfälzische Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler bei ihrem ersten Besuch in der Stiftung Scheuern nicht nur von Vorstand, Stiftungsrat, leitenden Mitarbeitenden und Vertretern wichtiger Gremien, sondern auch von einem fabelhaften, lila gestreiften Wesen. Dieses begrüßt Besucher des Hauses mit der Botschaft „Inklusion ist kein Märchen“. Das Motto gefiel der Ministerin so gut, dass sie sich spontan zum Gruppenfoto entschloss.
Bätzing-Lichtenthäler war erstmalig in einer Einrichtung der Behindertenhilfe dieser Größenordnung zu Gast. Im Mittelpunkt des Austauschs standen die aktuelle Entwicklung und strategische Ausrichtung der Stiftung Scheuern, aber auch eine Bestandsaufnahme im Projekt Dezentralisierung, mit welchem der Aufbau gemeindeintegrierter Lebensformen umgesetzt wird. Den damit einhergehenden Herausforderungen stellt sich die Stiftung Scheuern, die die Inklusion weiter voranbringen möchte, ganz bewusst.
„Selbstbestimmung ist unser Leitziel“, betonte Pfarrer Gerd Biesgen, Vorstand der Stiftung Scheuern, der sich damit für ein differenziertes Wunsch- und Wahlrecht mit „der richtigen Dosis und dem richtigen Maß“ aussprach. Vor fünf Jahren fasste die Stiftung Scheuern den Abbau von 270 Wohnplätzen auf dem Kerngelände ins Auge und plante, in Zusammenarbeit mit dem Land, den Kommunen und weiteren Partnern wie der Aktion Mensch dezentrale Angebote aufzubauen. 50 Wohnplätze in kleineren Wohneinheiten entstanden bisher in Bad Ems, Nassau und Nastätten, die den individuellen Bedürfnissen der Menschen entsprechen.
„Was Inklusion angeht, sind wir stark an die Grenzen gekommen“, räumte Gerd Biesgen ein. Damit meinte er nicht zuletzt die finanziellen Möglichkeiten vonseiten des Landes, der Kommune und der Stiftung selbst. In diesem Zusammenhang erfuhr die Sozialministerin auch von der Sorge der Stiftung Scheuern, Regressansprüche der Aktion Mensch erfüllen zu müssen, weil die Zielsetzung der Dezentralisierung in den vergangenen fünf Jahren nicht erreicht wurde.
Die Ministerin betonte, es sei ihr wichtig, Menschen realistische Optionen zu eröffnen. „Es ist eine große Herausforderung, nicht nur schwarz oder weiß zu sehen, sondern bezahlbare Lösungen im Blick zu haben“, sagte Bätzing-Lichtenthäler.
Erich Czeschlik, Vorsitzender des Stiftungsrats der Stiftung Scheuern, knüpfte an diese Aussage an. Bei der Bereitstellung von Chancen und Optionen müssten die Rahmenbedingungen stimmen. Er verdeutlichte der Sozialministerin, dass der Abbau von Wohnplätzen am Standort Scheuern eng mit dem Aufbau gemeindeintegrierter Wohnformen einhergehe. „Die Stiftung ist bestrebt, in den denkmalgeschützten Häusern moderne Standards in geforderter Qualität zu schaffen“, sagte er. Dies führe nicht zu einem Leerstand, sondern zu Anpassungen, die die Beratungs- und Prüfbehörde fordert. Insofern sei der Aufbau neuer Wohnprojekte in den Regionen, in denen die Bewohner zu Hause sind, dringend erforderlich. „Die inklusiven Bemühungen der Stiftung Scheuern lassen sich aber nicht nur an den Bauvorhaben festmachen“, gab Czeschlik zu bedenken und wies auf die Bestrebungen der Stiftung Scheuern hin, zusammen mit Partnern in Scheuern einen attraktiven Lebensort entstehen zu lassen.
Die Stiftung Scheuern verhandelt derzeit mit dem Sozialministerium über neue Vergütungssätze, die die Einrichtung in die Lage versetzen, sich als komplementäre Einrichtung weiterzuentwickeln und bedarfsspezifische Leistungen unter Berücksichtigung der Standards des Landesgesetzes über Wohnformen und Teilhabe zu schaffen. Lena Engelke beklagte als Vertreterin der Bewohner die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Behörden.
„Inklusion ist in den Köpfen der Menschen leider noch nicht drin, und Dezentralisierung darf nicht auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen werden“, formulierte Dr. Elisabeth Schmitt, Vorsitzende des Betreuerrats und als solche Sprachrohr der Angehörigen, ihre Sorge, dass die Gesellschaft gerade mit ambulanten Systemen überfordert sei.
Die Stiftung Scheuern hat kürzlich eine interne Untersuchung abgeschlossen, mit welcher die Betreuungsbedarfe gemäß Teilhabeplan überprüft wurden. „Die diesen Teilhabeplänen zugrundeliegenden Personalbedarfe müssen mit in die Vergütungssatzverhandlungen einfließen, damit die Stiftung Scheuern die fachlich notwendigen Betreuungsleistungen erbringen kann“, betonte Bernd Feix, Leiter des Geschäftsbereichs Behindertenhilfe.
Landrat Frank Puchtler warb für ein solidarisches Miteinander der Landkreise. Er plädierte für neue Wege in der Behindertenhilfe, die unabhängig von der Herkunft der Menschen sein müssten. Nicht nur aus Kostengründen müsse man stärker zusammenarbeiten. Puchtler äußerte den Wunsch, überregional über die Kreisgrenzen hinweg tätig zu werden, und sprach sich für finanzielle Verteilungsströme und einfachere Regelungen aus. Diesen Impuls gab er der Sozialministerin mit nach Mainz. Eine große Einrichtung wie die Stiftung Scheuern zu dezentralisieren, die auch Menschen aus umliegenden Kreisen betreue, könne der Rhein-Lahn-Kreis besser in Zusammenarbeit leisten. Puchtler signalisierte Offenheit und Bereitschaft, die große Herausforderung der Weiterentwicklung der Stiftung Scheuern im Interesse von Menschen mit Behinderung mitzutragen.
Nach Überzeugung aller Teilnehmer des Treffens haben sich die Hilfen für behinderte Menschen in den vergangenen beiden Jahrzehnten erheblich zum Wohl der Betroffenen weiterentwickelt. Den entscheidenden Anstoß dazu gab die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention. Es sei aber noch Luft nach oben, war man sich einig. Die Stiftung Scheuern entwickle vieles aus eigener Kraft weiter, auch denn die dafür erforderlichen Mittel fehlten.
Bernd Feix, Leiter des Geschäftsbereichs Behindertenhilfe, schilderte der Ministerin einige Aufgaben, die exemplarisch für die vielfältigen Prozesse in der Stiftung Scheuern stehen. Zu den jüngsten Errungenschaften gehören die Implementierung eines sehr fortschrittlichen sexualpädagogischen Konzepts und die Anwendung körperferner Maßnahmen zur Sicherheit von Menschen, die Weglauftendenzen haben. Außerdem hob Feix die Chancen personenzentrierter Hilfen hervor. Die Stiftung Scheuern beabsichtige, auch ein Case-Management einzuführen. Feix hielt ein Plädoyer für die Trennung von Case und Cash und betonte, er begrüße, wenn diese Trennung auch den Weg in die Verwaltung finden würde. "Die Menschen brauchen eine Beratungsinstanz, die unabhängig von Kostenträgern und Leistungserbringung ist“, so Feix abschließend.