Traditionsreich und innovativ zugleich – geht das überhaupt? Und wie das geht: Das gewohntermaßen ohnehin sehr vielfältige Jahresfest der Stiftung Scheuern zog seine Besucher diesmal mit gleich mehreren zusätzlichen Facetten in den Bann. Was vor allem an einer Person lag: Pfarrer Rainer Schmidt. Denn der Gast aus Bonn trug auf verschiedenen Ebenen zum Gelingen bei: Hatte er am Vorabend noch auf Einladung der Stiftung Scheuern in der Nassauer Stadthalle mit kabarettistischen Einsichten in das Thema Inklusion überrascht, so wirkte er nun als Prediger am Open-Air-Gottesdienst mit. „Bei meiner Geburt hat keiner ‚sehr gut‘ gesagt. Stattdessen hieß es ‚o weia‘“, betonte er mit Blick auf seine Behinderung: Der heute 52-Jährige kam ohne Unterarme zur Welt. Offen erzählte er, wie er als Jugendlicher mit seinem Schicksal haderte. „Ich wünschte mir inständig, ein Wunder möge meine Arme nachwachsen lassen“, erinnerte er sich und griff die biblische Geschichte des blinden Bettlers Bartimäus auf, den Jesus von seinem Augenleiden heilte. „Eine solche Heilung ist bei mir nicht geschehen, aber das ist auch gar nicht entscheidend, wenn man in der Gesellschaft lebt“, betonte Schmidt. „Für mich besteht das größte Wunder, das passieren kann, vielmehr darin, dass Menschen anfangen zu glauben. Oder anders ausgedrückt: Das größte Wunder ist für mich, dass wir miteinander unterwegs sind und einander im Blick haben.“
Ein in besonderem Maße inklusive Angelegenheit war er also, dieser Gottesdienst, an dem neben Pfarrer Rainer Schmidt auch Pfarrer Gerd Biesgen, Vorstand der Stiftung Scheuern, sowie, was den musikalischen Part betrifft, der gemischte Chor der evangelischen Kirchengemeinde der Stiftung Scheuern unter Leitung von Gisela Schönrock und ein von Petra Wiegand dirigierter Posaunenchor mit Bläsern der evangelischen Kirchengemeinden Nassau, Bad Ems, Dausenau und Dachsenhausen mitwirkten. Ausgesprochen beschwingt und, dem Motto des Jahresfestes 2017 entsprechend, „frech, wild und wunderbar“ sollte es auch in den kommenden Stunden weitergehen. Zum Beispiel bei dem „wilden“ Tischtennis-Match auf der Festwiese. Tischtennis? Ja, denn in dieser Sportart war Rainer Schmidt bis 2008, unter anderem als zweifacher Olympiasieger und mehrfacher Weltmeister, äußerst erfolgreich unterwegs. Rein „zufällig“ haben auch die Stiftung Scheuern und ihr Umfeld einige passionierte Zelluloidkünstler zu bieten: Bewohner Daniel Asch, Mitarbeiter Heiko Aulmann, Vorstand Gerd Biesgen und Matthias Metzmacher, Pfarrer für gesellschaftliche Verantwortung im Dekanat Nassauer Land, lieferten sich mit dem Stargast eine spannende, von Rainer Schmidt mit kabarettistischem Humor kommentierte Partie („Sie fragen sich bestimmt, wie jemand, der keine Hände hat, auf die bescheuerte Idee kommt, Vorhand und Rückhand spielen zu wollen…“).
Aber natürlich gab es noch mehr, was diesem Jahresfest seine wunderbare Würze gab. Bereits zum Inventar der Traditionsveranstaltung gehören Die fliegenden Noten, wie sich die Hausband der Stiftung Scheuern rund um Pia und Wolfgang Wallroth nennt. Mit ihren eingängigen Melodien und mitreißenden Rhythmen war sie auch diesmal an vorderster Front mit dabei. Genauso wenig aus dem Jahresfest wegzudenken: die Tanzgruppe „Let’s Dance“ unter der Leitung von Judith Bechstedt, deren Mitglieder diesmal als „Funky Cowboys“ Wild-West-Atmosphäre auf die Festwiese wehen ließen, und die Trash-Drumming-Gruppe Crazy Grooves rund um Alexander Ziegler, die ihre Zuhörer zielsicher in einen Trommel-Rhythmus-Rausch hineinkatapultierte. Noch nicht ganz so lange, aber immerhin schon zum zweiten Mal mit dabei waren die vom Betreuerrat der Stiftung Scheuern eingeladenen Flecker Stimmungsmacher aus Katzenelnbogen, die ihrem Namen entsprechend eine Extraportion Gute-Laune-Lieder im Gepäck hatten, und eine Tanzgruppe unter der Leitung von Anna Mischko, die mit Foxtrott, Tango und anderen Standardtänzen begeisterte. Obendrauf gab’s noch eine Premiere: Die von Ann-Christin Stockel trainierte Showtanzgruppe Streetdancer des SV Welschneudorf sorgte mit ihrer Nummer „Avatar“, ihren fantasievollen Kostümen und tollen Schaubildern für Furore. Apropos Premiere: Eine solche hatte auch das von zahllosen Jahresfesten her bekannte „Duo“ Pia und Wolfgang Wallroth auf Lager: Mit Martin Giermann (Cajón) und Überraschungsgast Gerd Biesgen (Gesang und Gitarre) hielt es das Publikum diesmal als Quartett „Alles für die Katz“ musikalisch auf Linie.
Übrigens, damit kein falscher Eindruck entsteht: Natürlich war nicht nur auf der Festwiese jede Menge los. Ob man bei dem vom Förder- und Freundeskreis der Stiftung Scheuern organisierten Flohmarkt auf Schnäppchenjagd ging, einen der zahlreichen Info- und Mitmachstände besuchte oder, oder, oder… hier war unter Garantie für jeden Geschmack etwas dabei.